Der Eckstoß gehört im Fußball zu den Aktionen, die sich im Lauf all der Jahre am wenigsten verändert haben. Es gibt zwar ein paar überschaubare Varianten, aber meistens ist es doch so: Einer schlägt den Ball hoch in den Strafraum auf der Suche nach einem guten Kopfballspieler, der den Ball dann entweder direkt aufs Tor befördert oder ihn zu einem Mitspieler verlängert. Es ist eine der einfachsten, unkompliziertesten Aktionen im Fußball, zigtausend Mal gesehen, im Ablauf immer gleich.
Angesichts dessen ist es schon erstaunlich, wie sich Borussia Dortmund am Freitagabend bei Union Berlin davon so hat übertölpeln lassen.
Zwei Mal trafen die Berliner nach Eckstößen. Das reichte ihnen zum 2:1-Erfolg und zu einem frohen Weihnachtsfest in Köpenick. Es waren überhaupt keine besonders raffiniert geschlagenen Eckbälle, scharf zwar getreten, aber ansonsten so, dass eine Verteidigung sich durchaus darauf einstellen kann. Vor allem, wenn man vorher schon weiß, dass Union mit Spielern wie Marvin Friedrich kopfballstarke Akteure in seinen Reihen hat. Und wenn man vorher schon weiß, dass Union auch in der Vorwoche gegen die Bayern mit diesem simplen Rezept Erfolg hatte.
Aber das alles hatte sich nach Dortmund möglicherweise in den Wirren des Trainerwechsels im Laufe der Woche wohl noch nicht herumgesprochen. Beide Male sah die Defensive mit an sich so wuchtigen Routiniers wie Mats Hummels oder Axel Witsel aus wie heurige Hasen. So als ob die 16-, 17-Jährigen nicht in der Angriffsreihe, sondern in der Deckung eingesetzt worden wären.
»Es war deutlich zu leicht für Union«, bilanzierte denn auch der neue Trainer Edin Terzic in seinem zweiten Pflichtspiel. »Wir sind nicht in diese richtigen Positionen gekommen und waren zu hektisch«, bemängelte er. Die Aufbruchstimmung in Dortmund, die Terzic verkörpern soll, hat einen ersten Rückschlag erlitten. Für den jungen Trainer ist das vielleicht gar nicht so schlecht. Die Analogien zum allgegenwärtigen Jürgen Klopp, die in der Öffentlichkeit beschworen wurden und wie ein Rucksack jedem BVB-Trainer auf den Rücken geschnallt werden, können erst mal wieder weggepackt werden.
Dabei hätte es an diesem Abend in der Alten Försterei doch so eine schöne Dortmunder Geschichte werden können: mit dem ersten Tor von Youssoufa Moukoko zum zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleich nämlich. »16 Jahre und wie alt ist er jetzt noch mal genau?« wurde danach hektisch auf der Pressetribüne herumgefragt: genau, 16 Jahre und 28 Tage exakt. Jede Aktion des jungen Mannes wird an und in Rekorden gemessen, und natürlich war dies dann auch das Tor des jüngsten Spielers in der Geschichte der Bundesliga. Zuvor hatte Moukoko mit einem Pfostenschuss kurz vor der Pause auch noch eine weitere Bestmarke aufgestellt: jüngster Spieler der Liga, der je den Pfosten traf.
Dass sich der BVB am Ende dafür nichts kaufen kann, lag noch am wenigsten an dem 16-Jährigen, der nach seinem Treffer fast nicht wusste wohn mit seiner unbändigen Freude. Durch den Sieg von Union konnte das Moukoko-Tor auch nicht mehr den Gesamteindruck des Teams überpinseln, der im zweiten Spiel nach dem Trainerwechsel von Lucien Favre zu Edin Terzic ziemlich desolat war.
Der Gutteil der Dortmunder Profis ist von seiner Bestform weit entfernt, Marco Reus und Jadon Sancho liefen am Freitag eher als Hologramme ihrer selbst über den Platz, wer weiß, was diese beiden an sich können, den barmt es, sie an diesem Abend zu sehen. Aber auch andere wie Verteidiger Manuel Akanji oder Emre Can haben den Faden verloren, Thomas Meunier, am Freitag wieder in der Startelf, hat ihn noch gar nicht gefunden.
Besonders der Auftritt in der ersten Halbzeit offenbarte das Bild einer zutiefst verunsicherten Mannschaft, die sich von den beherzten Unionern den Schneid abkaufen ließen. Man hatte das Gefühl, an sich konnte man nur Hummels und Witsel einigermaßen beruhigt in einen Zweikampf schicken mit der Aussicht, auch als Gewinner daraus hervorzugehen.
Dass die gnadenlose Effizienz, die Bereitschaft, die Eiseskälte vor dem Tor des noch verletzten Erling Haaland der Mannschaft fehlen, ist klar. Aber die unerschütterliche Treffsicherheit Haalands hat in den vergangenen Wochen und Monaten auch ganz offensichtlich Defizite des Teams verdecken helfen. Der Muskelfaserriss des Norwegers wirkt wie ein Vorhang, der aufgezogen wurde, um den Blick freizumachen auf die wahre Verfassung des BVB im Spätherbst 2020.
Favre hat seinem Nachfolger Edin Terzic insofern sicherlich kein bestelltes Feld hinterlassen. Aber das Team leidet auch unter der Unwucht des Kaders zwischen den ganz Jungen und den Erfahrenen, dem ein gediegener und krisensicherer Mittelbau zu fehlen scheint.
»Die Tabelle ist jetzt nicht unser Thema«, sagt Terzic. Aber das wird er kaum bestimmen können. Im ungünstigen Fall wächst der Rückstand auf Platz eins nach diesem 13. Spieltag schon auf neun Zähler. Der BVB hat jetzt innerhalb von drei Wochen gegen Köln, den VfB Stuttgart und Union verloren und gegen Frankfurt unentschieden gespielt. Bei solchen Resultaten ist der Anspruch, eine Spitzenmannschaft zu sein, erst einmal verwirkt.
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