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Filmstarts der Woche: Rheingold ohne Glanz - DER SPIEGEL

Neuer Siegfried? Emilio Sakraya als Xatar in »Rheingold«.

Neuer Siegfried? Emilio Sakraya als Xatar in »Rheingold«.

Foto: Gordon Timpen / Warner Bros.

Ab 27. Oktober im Kino:

»Rheingold«

Am Anfang ist sie voll da, diese Gewalt und Intensität, die Fatih Akins beste Filme ausmachen, »Gegen die Wand« oder »The Cut«. Der vor der Polizei in den Irak geflüchtete Deutsch-Kurde Giwar Hajabi (Emilio Sakraya) wird in einem schäbigen Gefängnis von der Polizei verhört: Der junge Mann, der heute als Xatar als einer der erfolgreichsten deutschen Rap-Produzenten bekannt ist, hat bei einem Raubzug einen Haufen Gold erbeutet. Bis heute ist nicht bekannt, wo es abgeblieben ist. Auch die Iraker sind scharf darauf. Das einzige Gold, das er besitze, sagt Hajabi zu dem Beamten und zeigt grinsend in seinen Mund, sitze in dieser Füllung. Kurz darauf wird ihm der Backenzahn von einem Wärter brutal aus dem Kiefer operiert.

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    So beginnt »Rheingold«, die Filmadaption von Xatars Biografie. Es ist Akins »Good Fellas«, eine auf deutsche Verhältnisse umgemünzte Hommage an die italo-amerikanischen Einwanderer-Epen, in denen der Aufstieg zu gesellschaftlicher Anerkennung in der Mehrheitsgesellschaft immer über den Umweg der Kriminalität erfolgen muss.

    Der Film nimmt sich viel Zeit für einen spannenden Aufbau – bevor er auseinanderfällt. Der blutigen Anfangssequenz folgt ein nicht minder schockierender Rückblick in die Vergangenheit. Hajabis kurdische Eltern, die als bildungsbürgerliche Künstler in Iran leben, werden nach Chomeinis Revolution in den militanten Widerstand gedrängt. Eine Szene, in der die Mullahs ein Konzert von Hajabis Vater, einem berühmten Dirigenten, stürmen und willkürlich um sich schießen, ist fast unerträglich in ihrer Gewalt. Ohne dass Akin es ahnen konnte, spiegeln sich in ihr auch die aktuellen Proteste in Iran wider, die leidvollen Erfahrungen all jener, die vor Krieg und Repression nach Deutschland flüchten – egal, aus welchen Teilen der Welt sie kommen.

    Umso bedauernswerter ist, dass »Rheingold« diese starken, politisch vibrierenden Motivfäden hängen lässt, je mehr er sich der chronologisch erzählten Kindheits- und Jugendgeschichte Xatars in Bonn widmet. Dessen Gangster-Werdung in Amsterdam wird dann mit der nötigen Gewalt und den üblichen Mafia-Ritualen nachgezeichnet. Den größten Teil des mit fast zweieinhalb Stunden recht langen Films nimmt aber die akribische, zugleich sehr amüsante und rasante Nachinszenierung des Goldraubs ein. Das funktioniert auf eine griffige Guy-Ritchie-Art, aber Akin opfert die »Gegen die Wand«-Intensität einem Tonartwechsel hin zu seinem Hamburger »Soul Kitchen«-Klamauk. Darüber verliert »Rheingold« seinen Rhythmus.

    Zu viel bleibt auf der Strecke: das zu Beginn sorgsam installierte Wagner-Gleichnis, Charaktertiefen, die alltägliche Schwere der Einwanderer-Existenz ebenso wie die letztlich rätselhafte Motivation Hajabis, Musiker zu werden und als Teil der bürgerlichen Gesellschaft zu funktionieren. »Ey, ich habe die Möglichkeit, neue deutsche Mythologie zu machen«, sagte Fatih Akin kürzlich in einem Interview. Stimmt: Migrantische Deutschrapper als moralisch zwiespältige Helden einer neuen Nibelungensage, das ist eine tollkühne, irrsinnig komplexe Idee! Aber es hat wahrscheinlich gute Gründe, dass selbst Richard Wagner daraus vier Teile machte. Andreas Borcholte

    »Rheingold« D/I/NL 2022. Buch und Regie: Fatih Akin. Mit Emilio Sakraya, Mona Pirzad, Ilyes Raoul, Sogol Faghani. 138 Minuten

    »Bodies Bodies Bodies«

    Selbst als in der Gruselvilla alles außer Kontrolle gerät, beleidigen sich die Figuren noch Generation-Z-konform. »Du triggerst mich«, heißt es da. Oder: »Deine Eltern sind aus der oberen Mittelschicht.« Regisseurin Halina Reijns begleitet eine Gruppe von Mittzwanzigern, die im Haus der Eltern von David (Pete Davidson) Party machen wollen. Zugekokst beginnen sie spätabends mit einem Gesellschaftsspiel, in dem die Teilnehmer einen durch Los bestimmten imaginären Mörder schnappen müssen. Als im obligatorischen Gewitter der Strom ausfällt, gibt es plötzlich echte Tote und dicke Luft zwischen den in Wahrheit zerstrittenen Twens.

    Von links: Maria Bakalova, Amandla Stenberg, Myha’la Herrold und Rachel Sennott lassen sich auf ein gefährliches Spiel ein

    Von links: Maria Bakalova, Amandla Stenberg, Myha’la Herrold und Rachel Sennott lassen sich auf ein gefährliches Spiel ein

    Foto: Sony Pictures

    Düstere dunkelviolette Klubstimmung dominiert die Bilder des Films, die immer wieder von Smartphone-Lichtern und leuchtenden Neonringen durchschnitten werden, Anklänge an Slasher-Filme wie »Scream« treffen auf die Ästhetik von »Euphoria«. Im Hintergrund donnern passend dazu auch noch Soundsplitter des Titeltracks von Charli XCX.

    Das Drehbuch – das auf einer Story der durch die virale Kurzgeschichte »Cat Person« bekannt gewordenen Autorin Kristen Roupenian  basiert – entwickelt ein über weite Teile spannendes und witziges Verwirrspiel. Rachel Sennott brilliert in der Rolle der Podcasterin Alice, herrlich ist der Auftritt von Lee Pace als ihr Tinder-Date Greg, der mit einer Kettlebell im Fitnessraum ermordet wird. Reijns Film täuscht mit einem guten Cast und einem cleveren Plot geschickt über eine allzu gewollte Jugendlichkeit hinweg. Benjamin Stolz

    »Bodies Bodies Bodies« USA 2022. Regie: Halina Reijns. Buch: Sarah DeLappe. Mit Pete Davidson, Rachel Sennott, Lee Pace. 94 Minuten.

    »Werner Herzog – Radical Dreamer«

    Bilder zu finden, die es im Kino noch nicht zu sehen gab, dieser Entdeckergeist hat den Regisseur Werner Herzog immer wieder angetrieben. Und an dem Selbstbewusstsein, dass ihm dies gelingen würde, hat es ihm wohl nie gemangelt. Anlässlich seines 80. Geburtstags Anfang September wurde sein Schaffen ausführlich gewürdigt, eine Ausstellung in der Berliner Kinemathek führt noch bis Ende März durch sein Werk, das über 70 Filme und einige großartige literarische Arbeiten umfasst.

    Filmemacher Herzog: Immer wieder nahm er an Naturgewalten Maß

    Filmemacher Herzog: Immer wieder nahm er an Naturgewalten Maß

    Foto: 3B Produktion

    Der deutsche Schriftsteller und Filmemacher Thomas von Steinaecker porträtiert Herzog in seiner Dokumentation als einen »Radical Dreamer«, der sich mit Naturgewalten wie Vulkanen, reißenden Flüssen oder Klaus Kinski maß, um das Leben in all seiner Wildheit und Unberechenbarkeit einzufangen. Herzog dabei zuzuhören, wie er über seine Arbeit und seine Grundsätze redet, ist erhellend und witzig, manchmal sogar bewegend. Als er einen Ort seiner Kindheit aufsucht, wischt er sich Tränen aus dem Gesicht. Natürlich würde er nicht vor Rührung weinen, sagt er.

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      Viele Prominente huldigen Herzog in dem Film – von Patti Smith bis Wim Wenders, von Nicole Kidman bis Christian Bale. Um das Publikum davon zu überzeugen, was für ein toller Kerl er ist, hätten auch weniger gereicht. Stattdessen würde man gern noch mehr Dokumentaraufnahmen sehen, die Herzog – schon in den Sechzigerjahren – bei der Arbeit an seinen Filmen zeigen. Es wirkt beinahe so, als wäre ihm schon früh bewusst gewesen, dass er das Leben eines Großkünstlers einfangen könnte, wenn er die Kamera auf sich selbst richten würde. Lars-Olav Beier

      »Werner Herzog – Radical Dreamer«, Deutschland/USA 2022. Regie: Thomas von Steinaecker. Mit Nicole Kidman, Patti Smith, Christian Robert Pattinson, Wim Wenders. 102 Minuten.

      »Bros«

      Romantische Komödien wie »E-Mail für dich« oder »Schlaflos in Seattle« hat der neue Film von Comedian Billy Eichner und Regie-Routinier Nicholas Stoller als Vorbilder. Zu den Standards dieser Romcoms gehören: ein Paar, das sich ordentlich ziert, bevor es sich seine Liebe eingesteht, unbezahlbare Apartments sowie Postkartenbilder vom weihnachtlichen New York. All das hat auch »Bros« zu bieten. Eine wichtige Änderung nimmt der Film aber vor: Im Mittelpunkt steht der erfolgreiche schwule Podcaster Bobby (Eichner, auch Co-Autor des Films).

      Billy Eichner (unten) und Luke Farlane (oben) als haderndes Liebespaar

      Billy Eichner (unten) und Luke Farlane (oben) als haderndes Liebespaar

      Foto: Nicole Rivelli / Universal Pictures

      Er hadert damit, ob der bodenständige Rechtshelfer Aaron (Luke Macfarlane) der Richtige für ihn ist. Weil er eine Trichterbrust hat, zieht Bobby im Klub nicht das T-Shirt aus. Aaron präsentiert dagegen selbstbewusst seine Muskelberge – und auch Bobby kann nicht anders als hinzugucken. Mit seiner Schlagfertigkeit und seinem Humor kann er schließlich bei Aaron landen. Aber eine Unsicherheit bleibt: Wie glücklich kann man werden, wenn man weiß, dass man nicht der Typ seines Partners ist?

      Schwule Schönheitsideale, Chemsex oder Promiskuität spricht »Bros« für Hollywood-Verhältnisse ungewohnt direkt an. Tatsächlich ist der Film die erste große US-Mainstream-Produktion, bei der alle Hauptfiguren von queeren Menschen gespielt werden und keiner stirbt oder von seinen Eltern verstoßen wird. Im Unterhaltungsgeschäft hat sich was geändert oder, wie es der 40-jährige Bobby auf den Punkt bringt, als er über jüngere Queers spricht: »Wir mussten mit Aids klarkommen. Die haben ›Glee‹.« Ansonsten lahmt die Geschichte ob ihrer Formelhaftigkeit leider sehr. Aber das kann man einem Film, der sich eine schwule Dating-App namens Zellweger ausdenkt, nur schwer übel nehmen. Hannah Pilarczyk
      »Bros« USA 2022. Regie: Nicholas Stoller. Buch: Billy Eichner, Nicholas Stoller. Mit: Billy Eichner, Luke Macfarlane, Miss Lawrence, TS Madison, Dot-Marie Jones, Amanda Bearse. 115 Minuten

      Im Streaming

      »Raymond & Ray« (auf Apple TV+)

      Die Trauer von Raymond (Ewan McGregor) und Ray (Ethan Hawke) hält sich in Grenzen, als ihr Vater stirbt. Der prügelnde Patriarch hat den Halbbrüdern ihre Kindheit versaut. Sein letzter Wunsch: Die Söhne, zu denen er seit Jahren keinen Kontakt hatte, sollen an seiner Beerdigung teilnehmen und sein Grab schaufeln. Ray versucht zunächst, seinen verstörten Bruder zu trösten: »Du musst da nicht hin. Er ist tot. Er wird es niemals erfahren.«

      Ewan McGregor (l.) und Ethan Hawke als Halbbrüder Raymond und Ray

      Ewan McGregor (l.) und Ethan Hawke als Halbbrüder Raymond und Ray

      Foto: Gilles Mingasson / Apple+

      Aber die Macht, die der Vater über sie hatte, wirkt noch aus dem Jenseits, Raymond und Ray fügen sich. Bis der Tote unter der Erde ist, werden sich die Brüder an die Kehle gehen, neu verlieben, Familienmitglieder mit artis­tischen Talenten kennenlernen und das Rätsel, das ihr Vater war, erkunden. Der Streamingdienst von Apple zeigt öfter Spielfilme, die sich mit schwierigen Stoffen befassen, ohne dem Zuschauer zu sehr zur Last zu fallen – mit dem Gehörlosendrama »Coda« gewann Apple TV+ zuletzt sogar den Oscar für den besten Film.

      »Raymond & Ray« will ähnlich unterhaltsam von den Lasten einer schweren Kindheit im Erwachsenenleben erzählen. Der kolumbianische Regisseur und Drehbuchautor Rodrigo García lockert den Stoff mit lakonischen Dialogen und schrulligen Gags auf. Doch das großartige Spiel von Mc­Gregor und Hawke deutet an, dass seelische Verletzungen keineswegs lustig sind. Oliver Kaever

      »Raymond & Ray«, USA 2022. Buch und Regie: Rodrigo García. Mit: Ewan McGregor, Ethan Hawke, Maribel Verdú. 100 Minuten

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