Trauer um den Künstler Christian Boltanski. Der Franzose, der mit seinen raumeinnehmenden Installationen gegen das Vergessen kämpfte, ist im Alter von 76 Jahren verstorben.
Zu Mauern aufgebaute Metallkästen, nackte Glühbirnen, die von der Decke hängen, kaltes Licht, Stapel von getragenen und ungetragenen Kleidern – mit Requisiten, die auf anonyme Menschen und Schicksale verweisen, schaffte der Künstler Christian Boltanski Orte der Erinnerung.
Nun ist der Sohn eines jüdischen Vaters mit 76 Jahren in Paris gestorben. Dies berichtet die französische Nachrichtenagentur AFP am Mittwoch mit Verweis auf den ehemaligen Leiter des Museums für Moderne Kunst im Centre Pompidou, Bernard Blistène. Auf dem Twitter-Account des Centre Pompidou wird die Nachricht noch einmal bestätigt.
Boltanskis Erinnerungskunst ist weltweit bekannt. In Deutschland war der Künstler angesichts der NS-Vergangenheit früh gefragt. Mitte der Siebzigerjahre nahm er an der documenta in Kassel teil. Im Neubau der Berliner Akademie der Künste entwarf er beispielsweise eine ständige Rauminstallation.
"Deutschland räumt der zeitgenössischen Kunst mehr Bedeutung ein"
Einen dauerhaften Platz im Weltkulturerbe Völklinger Hütte bekam er mit einer Installation aus Spinden, aus denen gesprochene Erinnerungen von einstigen Arbeitern ertönen. Im Jahr 2018 entwarf Boltanski dort zudem einen festen Erinnerungsort für diejenigen, die in den zwei Weltkriegen Zwangsarbeit in der Völklinger Hütte verrichten mussten. Die Installation zeigt einen Kleiderberg aus schwarzen Hosen und Jacken, umgeben von unzähligen Archivkästen mit Nummern.
"Deutschland räumt der zeitgenössischen Kunst mehr Bedeutung ein als Frankreich", sagte Boltanski einmal. Nicht nur deshalb fühlte er sich in Deutschland wohl: "Mir liegt die Mentalität. Während man in Deutschland nach einem Abendessen über Philosophie diskutiert, wechselt man in Frankreich Höflichkeiten aus und vermeidet ernste Themen."
Christian Boltanski im "Grand Palais" in Paris während des Aufbaus einer Arbeit für die Monumenta 2010. Foto: Fred Dufour/AFP/dpa.
"Ich hatte eine seltsame Kindheit, sehr beschützt und voller Angst"
Der Konzeptkünstler, Fotograf und Bildhauer war Autodidakt. Er wurde kurze Zeit nach der Befreiung von der Nazi-Besatzung in eine Familie geboren, die auch nach dem Krieg unter dem Trauma von Verfolgung und Denunziation litt. Wie er der französischen Wochenzeitung "L'Express" einst erzählte, habe seine Mutter allen gesagt, sein Vater sei verschwunden – dabei habe der sich fast zwei Jahre unter dem Boden ihrer Wohnung versteckt. "Ich hatte eine seltsame Kindheit, sehr beschützt und voller Angst", so Boltanski. Aus dieser Erfahrung wurde sein Credo: Künstler zu sein, das heißt, seine eigenen Ängste zu verarbeiten.
In den vergangenen Jahren hat sich Boltanski auch immer mehr mit seinem eigenen Tod auseinandergesetzt. Wie in einem Werk von 2014, "Letzte Sekunde": eine riesige Digitalanzeige, die die Sekunden des Lebens zählte, und mit seinem Tod aufhören sollte.
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