Man hätte vermuten können, dass Chinas Medien begeistert wären. Die gebürtige Pekingerin Chloé Zhao ist als zweite Frau und erste Asiatin in der Filmgeschichte mit einem Oscar für die beste Regie ausgezeichnet worden. Doch die chinesischen Medien reagierten mit eisernem Schweigen. In der gesamten Staats- und Parteipresse gab es am Montag keine Berichte über die Oscarverleihung und Zhaos Film „Nomadland“, der zusätzlich den Preis für den besten Film bekam.
Im Internet wurden die meisten Beiträge zu dem Thema, selbst einfache Gratulations-Posts, innerhalb von Stunden gelöscht. In chinesischen Suchmaschinen wurden die Namen der Regisseurin und ihres Films blockiert. „Den relevanten Gesetzen und Vorschriften zufolge kann das Ergebnis dieser Suche nicht angezeigt werden“, hieß es etwa auf Douban, einer Internetseite für Film- und Literaturfans. Eine Public-Viewing-Veranstaltung in Schanghai, die von Alumni der New- York-Universität organisiert wurde, scheiterte daran, dass die für den Livestream nötige VPN-Software des Organisators blockiert wurde.
Der Grund für all das dürfte ein Interview sein, das die Regisseurin im Jahr 2013 der Zeitschrift „Filmmaker“ gegeben hatte. Über ihre Jugend in China hatte Chloé Zhao damals gesagt, sie sei an einem Ort aufgewachsen, „wo es überall Lügen gibt“. Später in England habe sie die Geschichte ihres Landes „neu gelernt“ und erst durch ein Studium der Politikwissenschaften verstanden, „was real ist“. Diese Aussagen, die später von der Website des „Filmmaker“ gelöscht wurden, machten Zhao im März, als sie den Golden Globe für die beste Regie bekam, zum Ziel eines massiven Shitstorms.
Ebenso wenig gefiel den „Little Pinks“, den chinesischen Online-Tugendwächtern, ein Interview mit einer australischen Website, von der Zhao mit den Worten zitiert wurde: „Die Vereinigten Staaten sind letztlich nun mein Land.“ Nach dem Aufschrei im chinesischen Internet teilte die Website mit, man habe Zhao falsch zitiert. Tatsächlich habe sie gesagt: „Die Vereinigten Staaten sind letztlich nicht mein Land.“ Das konnte nicht mehr verhindern, dass der Filmstart von „Nomadland“ kurzfristig ausgesetzt wurde. Einen neuen Termin für den lukrativen chinesischen Markt gibt es bisher nicht.
Am Montag nun zensierten die chinesischen Behörden sowohl Zhao-Fans als auch ihre Kritiker. Weil die Kommunistische Partei im Juli den 100. Jahrestag ihrer Gründung feiert, sind die Zensoren im Moment besonders sensibel. Wie immer fanden einige Internetnutzer Wege, die Zensur auszutricksen. Zum Beispiel ersetzten sie eines der Schriftzeichen im Titel des Films durch ein gleichklingendes Zeichen. Und sie erfanden chinesische Schriftzeichen für Chloé, obwohl der chinesische Name der Filmemacherin Zhao Ting ist. Manche, deren Beiträge zumindest einige Stunden lang zu lesen waren, zeigten sich berührt von Zhaos Siegesrede, in der sie noch einmal auf ihre Kindheit in China zu sprechen kam. In schwierigen Momenten erinnere sie sich an klassische chinesische Gedichte und Texte, über die sie mit ihrem Vater gesprochen habe. Dann zitierte sie eine Gedichtzeile auf Chinesisch. „Bei der Geburt sind alle Menschen von Natur aus gut.“ Ihren Preis widme sie allen, die den Mut hätten, an diesem Guten festzuhalten. Wer mochte, konnte das als Antwort an jene verstehen, die ihr mangelnde Loyalität gegenüber ihrem Geburtsland vorgeworfen hatten.
Der von ihr angemahnte Humanismus stieß beim Chefredakteur der Parteizeitung „Global Times“ auf Häme. Hu Xijin äußerte sich nur für das internationale Publikum in englischer Sprache auf Twitter. Chloé Zhao sei nicht „reif“ genug, mit den Schwierigkeiten umzugehen, die ihr aus den diplomatischen Spannungen zwischen China und Amerika erwüchsen, schrieb er. Damit gab er den einzigen offiziellen Hinweis, warum die Zensur so streng war. Das Verhältnis zu Amerika ist an einem historischen Tiefpunkt. Unter anderen Umständen hätte die chinesische Propaganda einen Film über Obdachlosigkeit in Amerika womöglich dankbar aufgegriffen.
Chinesische Internetnutzer attestierten dem Propagandaapparat ihrerseits mangelnde Reife. „Wie können wir über Selbstbewusstsein sprechen, wenn wir nicht einmal einen Filmtitel eintippen können?“, schrieb ein Nutzer mit dem Namen Ai Chen. Das bezog sich auf Staatschef Xi Jinping, der die Chinesen regelmäßig dazu auffordert, kulturelles Selbstbewusstsein zu zeigen. Ein Filmblogger schrieb auf Wechat, er habe den ganzen Morgen Beiträge geschrieben, aber noch keinen davon durch die Zensur gebracht. Deshalb bleibe ihm nur noch, Anthony Hopkins zu seinem Oscar als bester Hauptdarsteller zu gratulieren.
Artikel von & Weiterlesen ( Wie China alle Beiträge über Chloé Zhao zensiert - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung )https://ift.tt/3tWuupk
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