Barack Obama und Bruce Springsteen kennen und schätzen sich schon eine ganze Weile. »I’m the president«, sagte Obama immer mal wieder gerne, »but he’s the Boss«. In einem auf acht Teile angelegten Podcast auf Spotify (»Renegades«) mit dem Untertitel »Born in the USA« kommen die beiden kulturellen Großkaliber wieder zusammen, um jeweils eine knappe Stunde … ja, was eigentlich?
Seit ihrer Gründung 2018 hat Higher Ground, die Produktionsfirma von Michelle und Barack Obama, bereits mehrere Projekte umgesetzt – darunter mit »American Factory« die Netflix-Dokumentation einer Lesereise der ehemaligen First Lady und mehrere Filme, weitere sind angekündigt. Obama versteht sich gut mit Ted Sarandos, der bei Netflix für Inhalte verantwortlich ist und dessen Frau, Nicole Avant, unter der Administration von Obama als US-Botschafterin auf den Bahamas diente.
Über Netflix erreichen die Obamas weltweit mehr als 200 Millionen Abonnenten, der Vertrag über mehrere Dokumentationen und Filme soll ein Volumen von 300 Millionen Dollar haben. Bei Spotify, wo bisher schon Michelle Obama mit dem »Michelle Obama Podcast« präsent ist, sind es sogar bald 350 Millionen aktive Nutzer – monatlich. Das Paar hat auf diese Weise, wenn Netflix und Spotify weiter wachsen, direkten medialen Zugriff auf ein Achtel der Erdbevölkerung.
Womit? Mit, wie Obama sagte, Geschichten über »talentierte, inspirierende, kreative Stimmen, die in der Lage sind, größeres Mitgefühl und Verständnis zwischen den Menschen zu fördern«. Diesen Stimmen will er gerne helfen, »ihre Geschichten mit der ganzen Welt zu teilen«. Stimmen wie jener von Bruce Springsteen – und er von Barack Obama selbst.
Bedeutung von Stimme und Performance für ihre Laufbahn
Springsteen ist heiser, wie nur Springsteen heiser sein kann. Obama spricht sogar im vertrauenserweckenden Bariton, der ihn ins Amt getragen hat. Als Moderator und Erzähler ist er hier der Boss. Er moderiert den Podcast an, er setzt die Wegmarken, und er bringt Springsteen zum Sprechen.
Ausgangspunkt des Gesprächs ist das Gefühl, Außenseiter zu sein, wie es jeder auf seine Weise gewesen sein will. Gemeinsam kommen Obama und Springsteen zu dem Schluss, dass die Stimme und die Performance wichtig für ihre Laufbahn gewesen seien. Ebenso wie die »Megalomanie« (Springsteen) des Gedankens, dass sie ihre Geschichten auf der ganzen Welt zu Gehör bringen wollten.
In den ersten beiden Teilen von »Renegades« reden die Freunde über ihre Freundschaft, die Freundschaft ihrer Gattinnen, die gegenseitige Wertschätzung, die Anzahl der Gitarren in Springsteens Haus (1000), leider nicht über die Anzahl seiner edlen Springpferde, für deren Einkauf der »Boss« bisweilen mit dem Privatjet anreist.
Kurioserweise ist es, als lausche man einem Bruce-Springsteen-Interview, bei dem der Fragesteller unendlich viel Zeit hat. Wie war das nochmal damals in New Jersey? Wie ist Springsteen aufgewachsen, was war das für eine Familie, was für ein Milieu? Kurioserweise stellt der Fragesteller seinen eigenen Werdegang stets daneben. So war das auf Hawaii, so fühlte sich das an als einziges schwarzes Kind am Strand.
Gegenseitige Wertschätzung ist durchaus spürbar, die Hoheit des 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten über den Verlauf des Gesprächs aber auch. Es besteht ein Unterschied zwischen kultureller und politischer Macht.
Obama verlagert sein Gewicht aufs kulturelle Feld
Obama, der schon im Amt die Ökonomie der Popkultur durchschaut und sich ihrer bedient hatte wie kein Präsident vor ihm, verlagert nach der Abgabe seiner politischen Macht sein Gewicht nun ganz aufs kulturelle Feld. Hier wird er weiter wirksam sein und sozusagen die linke Flanke von Joe Biden an der Unterhaltungsfront decken. Darum geht es bei Higher Ground, und darum geht es auch in diesem Podcast.
Nun hätte Obama vermutlich auch sich selbst oder einer alleinerziehenden Mutter mit drei Jobs sprechen können. Kanye West oder Beyoncé wären auch interessant, aber nur Selbstgespräch eines schwarzen Amerikas gewesen. Die Wahl von Bruce Springsteen aber, der als vermeintlich authentischer Chronist der »ehrlichen« USA der Arbeiterklasse gilt, ist ähnlich geschickt wie bei der Inauguration seines Nachfolgers die Wahl der Country-Ikone Garth Brooks. Das ist einer, dem auch das weiße Amerika zuhört.
Dabei spielt keine Rolle, dass Springsteen – wie er selbst eingeräumt hat – den Arbeiter immer nur porträtiert hat, nie selbst einer gewesen ist. Aber Obama versteht Musik, wenn er sie hört, und fragt Springsteen nach den Einflüssen des Soul in seinen Songs. Wenn Springsteen erzählt, die Schwarzen an seiner High School seien »beneidet und verachtet« worden hakt Obama sofort nach: »Beneidet wofür?« Für ihren Style. Gelächter.
Brücken für ein gespaltenes Land
Er fragt Springsteen aber auch nach Clarence Clemons, dem schwarzen Saxophonisten in der E-Street-Band, und dessen Existenz als Musiker vor überwiegend weißen Gesichtern. Springsteen erzählt, wie es bei einem Konzert in der Elfenbeinküste erstmals umgekehrt gewesen sein, »ein Stadion mit ausschließlich schwarzen Gesichtern«. Clemens sei da an ihn herangetreten und habe gesagt: »Tja … jetzt weißt du, wie sich das anfühlt«.
Die Gesprächspartner sind auf spürbar pontifikaler Mission, Brücken sollen gebaut werden für ein entlang ethnischer Zugehörigkeiten gespaltenes Land. Zuhören, reden, und im Wechsel aus beidem Einigkeit herstellen. Und sei es auch nur in dem Punkt, dass noch viel Arbeit bevorsteht. Bisweilen ist die Konversation mit Pathos angedickt, wenn historische Aufnahmen eingespielt werden oder Springsteen sich eine seiner 1000 Gitarren schnappt, um »My Hometown« zu singen.
Darum geht es. Liebenswürdigkeit als Genre, Versöhnung als Unterhaltungsformat.
Die soziale Frage wird nur über Umwege berührt, auch Außenpolitisches bleibt außen vor. Wenn beide über Protestsongs plaudern, fallen Springsteen die Sex Pistols ein, bevor Obama »Strange Fruit« von Billie Holiday oder »Respect« von Aretha Franklin vorschlägt. Lieder gegen den Krieg, von denen Springsteen auch einige geschrieben hat, kommen nicht vor.
Interessant wird es, wenn der Musiker umgekehrt fragt, welche Schlüsse Obama als Präsident aus der Geschichte der Sklaven gezogen, wie er sich um Gerechtigkeit bemüht, ob er vielleicht sogar die Zahlung von Reparationen in Betracht gezogen habe. Und Obama sagt: »In praktischer Hinsicht war das unerreichbar. Wir bekommen dieses Land nicht einmal dazu, vernünftige Schulen für Kinder bereitzustellen«.
»Renegades« ist teils ein Musikerinterview, teils eine nachgereichte Regierungserklärung, meistenteils ein gemeinsames Nachdenken über die Lage der Nation. Kein Geplauder unter Freunden, sondern ein Unterfangen der politischen Bildung, niederschwellig und mit millionenfacher Reichweite.
Was das soll, prügelt die Telekom als Sponsor in ihren Werbeunterbrechungen besonders begriffsstutzigen Hörerinnen und Hören mit dem Zaunpfahl ein: »Wäre es nicht wundervoll, wenn das Internet immer wäre wie dieser Podcast?«
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