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Bischofshofen-Sieger Kamil Stoch
Foto:LISI NIESNER / REUTERS
Skispringen ist ein komplizierter Sport. Kleinigkeiten entscheiden über Sieg und Niederlage. Es kann so viel schiefgehen. Nicht so bei Kamil Stoch in Bischofshofen. Der Pole – ohnehin einer der großen Ästheten im Skisprung-Weltcup – erwischte den Absprung auf der Naturschanze zweimal perfekt, fand schnell seine Fluglage, segelte ohne korrigierende Bewegungen nach unten und zeigte in beiden Durchgängen Telemark-Landungen aus dem Lehrbuch. Typisch Stoch, typisch König Kamil, wie er allenthalben genannt wird.
Die 69. Auflage der Vierschanzentournee war eine ganz besondere, sie wird in die Geschichte eingehen. Weniger wegen Stoch, der mit seinem dritten Gesamtsieg nach 2017 und 2018 in der ewigen Bestenliste auf den vierten Platz vorrückte. Sondern wegen der Begleitumstände. Erstmals waren auf den Schanzen in Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck und Bischofshofen keine Zuschauer zugelassen. Kein langgezogenes »Zieh«, keine Party im Auslauf. Und weil Sieger Stoch am Tag vor Tournee-Beginn dachte, er dürfe wegen eines positiven Corona-Testergebnisses in seinem Team gar nicht antreten.
Der Erfolg des 33-Jährigen ist nicht hoch genug zu bewerten. Die Tournee ist schon in normalen Zeiten mentaler Ausnahmezustand. Vier Wettkämpfe in neun Tagen, acht Sprünge auf höchstem Niveau, dazu die ständige Präsenz in der Öffentlichkeit. Stoch hat das alles ausgeblendet und mit seiner Erfahrung die jüngere Konkurrenz ausgestochen. »Wir hatten großen Stress im Vorfeld der Tournee«, sagte Stoch in Bischofshofen. »Umso glücklich bin ich jetzt.«
Horngachers Anteil am Stoch-Erfolg
»Er springt so schön sauber«, sagte der deutsche Bundestrainer Stefan Horngacher nach dem Springen in Bischofshofen im ZDF. »Er hat sich das absolut verdient.« Horngacher ist zwar mittlerweile für das Team um den Gesamtzweiten Karl Geiger verantwortlich – aber er hat eine besondere Beziehung zu Stoch. Von 2016 bis 2019 hatte der Österreicher das polnische Team trainiert und Stoch zu seinen ersten beiden Tournee-Siegen und zu Olympia-Gold geführt.
Das war insofern bemerkenswert, weil Stoch in den beiden Jahren vor der Horngacher-Verpflichtung nur selten um Siege mitgesprungen war. Nach den beiden Olympiasiegen in Sotschi und dem Gesamtweltcuperfolg 2014 war Stoch in ein Loch gefallen. Die Leichtigkeit war weg, er überlegte zu viel – und mit jedem Misserfolg wurden die Selbstzweifel größer. Stoch wollte es mit Gewalt erzwingen und scheiterte. Horngacher gelang es, dass sein Schützling auch mit weniger als ersten Plätzen zufrieden war, er brachte die Lockerheit zurück und hat deshalb bis heute einen Anteil am Erfolg der polnischen Skispringer.
Skisprung-Land Polen
Seit Adam Malysz, dem vierfachen Weltmeister und Tournee-Sieger 2001, ist dieser Sport in Polen eine Volksdroge. Stoch ist in Zakopane, dem größten Wintersportort des Landes, aufgewachsen und hat die zunehmende Bedeutung des Skispringens hautnah miterlebt. Jahrelang sprang er an der Seite von Malysz, was ihn eher zu lähmen schien. Malysz – heute Sportdirektor im polnischen Team – trat 2011 zurück und machte den Weg für Stoch frei.
Die vielen Puzzlestücke, die es für erfolgreiche Skispringer einzusetzen gilt, passten bei Stoch plötzlich zusammen. Absprung, Flugposition, Landung – all das hatte er schon in den Jahren davor draufgehabt. Ohne Malysz stieg das Selbstvertrauen, die mentale Komponente ist im Skispringen extrem wichtig.
Der König landet im Paradies
Nun ist Stoch seit 15 Jahren im Weltcup dabei. Nun ist er Vorbild für Teamkollegen wie Vorjahresgewinner Dawid Kubacki, der in diesem Jahr in der Gesamtwertung auf dem dritten Platz landete. Seine Erfahrung war der entscheidende Faktor. Geiger leistete sich den einen entscheidenden Patzer in Innsbruck, Kubacki war nicht konstant genug, Markus Eisenbichler erreichte sogar nur drei Mal den Finaldurchgang – in Bischofshofen schied er als 35. nach dem ersten Sprung aus.
Und dann war da noch Halvor Egner Granerud. Der Norweger war mit fünf Weltcupsiegen in Serie zur Vierschanzentournee gereist. Er war der Topfavorit, sprang in Oberstdorf und Garmisch stark, um dann wie Geiger in Innsbruck abzustürzen. In seinem Frust gab er im Anschluss ein Interview, in dem er erklärte, es sei "furchtbar nervig, Stoch wieder gewinnen zu sehen". Wenig später entschuldigte sich Granerud, der Ruf als schlechter Verlierer wird ihn jedoch vorerst begleiten.
»Ich habe es gar nicht selbst gesehen und will keine große Sache daraus machen. Wir sind eine große Skisprung-Familie, das Leben geht weiter«, sagte Stoch auf der virtuellen Pressekonferenz in Bischofshofen. »Wir lernen alle aus unseren Fehlern, er wird es auch tun.«
Wenige Sekunden zuvor hatte sein Telefon mit dieser Melodie geklingelt: »Paradise City« von den Guns N' Roses. Der König war mal wieder im Paradies gelandet.
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