Es muss im Sommer des Jahres 2000 gewesen sein, als man in der Münchner Innenstadt einen Mann beobachten konnte, der nicht dorthin zu gehören schien. Er trug einen hellen Anzug von altmodischem Schnitt, einen hellen Hut, auch seine Bewegungen wirkten unzeitgemäß, und aus einer gewissen Entfernung sah es so aus, als ob Thomas Mann wiederauferstanden und zurückgekehrt wäre in die Stadt, aus der er im Februar 1933 abgereist und nicht wiedergekommen war. Erst beim Näherkommen merkte man, dass der Herr athletischer als Thomas Mann war, und einen kräftigeren Schädel hatte er auch. Es war Armin Mueller-Stahl, der, wie in jeder Zeitung zu lesen war, draußen auf dem Bavaria-Gelände den großen Schriftsteller spielte. Und der anscheinend zur Einstimmung in die Rolle die Spazierwege Thomas Manns abging, vom Herzogpark in die Innenstadt.
Es war die Zeit, da man eine gewisse Spottlust schwer unterdrücken konnte, weil auch Mueller-Stahls öffentliche Auftritte, so kam es einem vor, etwas Würdenträgerhaftes und Staatstragendes hatten; man wollte ihn schon fragen, ob er die Nobelpreisurkunde von 1929 auch immer gut abstaube. Umso schöner war dann aber die Überraschung, als „Die Manns“ endlich im Fernsehen liefen: nicht wegen Heinrich Breloers angestrengter Inszenierung; es war Mueller-Stahl, der einen gerade damit überzeugte, dass er eine erstaunliche Distanz zur Rolle fand. Was nicht nur daran lag, dass er, anfangs, als Siebzigjähriger den Autor in seinen Fünfzigern spielte. Es lag auch daran, dass Mueller-Stahl auf alle Mimikry verzichtete; dass er, weil er von und über Thomas Mann nicht bloß das Drehbuch gelesen hatte, verstand, dass es hier nicht um einen Ähnlichkeitswettbewerb ging. Und dass, wenn er sein Staunen über die Figur mit in die Rolle legte, das dem Film, ihm selbst und Thomas Mann nur guttun würde.
Distanz zur Rolle
Dass Armin Mueller-Stahl einer unserer besten Schauspieler sei, das hat vor fast vierzig Jahren schon Rainer Werner Fassbinder gesagt; es gibt da nichts zu widersprechen. Nur anzufügen vielleicht, dass Mueller-Stahl immer dann am allerbesten war, wenn er seine Rollen auf Abstand hielt. Das war schon am Anfang seiner Karriere so, in der DDR, wo er gewissermaßen den James Bond der Stasi spielte, einen Geheimagenten, der alte Nazis jagt und sich selbst als alten Nazi tarnt, und entsprechend heftig staunt er, über sich selbst und die Welt, in die er da hineingeraten ist. Wo er das her hat, diese Erkenntnis, dass eine Distanz zur Rolle die Intensität des Spiels nicht beschädigen muss, dass sie die sogar noch steigern kann, darüber kann man nur Vermutungen aufstellen. Der junge Mueller-Stahl, ausgebildeter Geiger und Musiklehrer, bekam ja, als er dann Schauspieler werden wollte, erst einmal mangelnde Begabung bescheinigt. Es war Helene Weigel, die ihm eine Chance gab und ihn ans Theater am Schiffbauerdamm holte, wo Identifikation verpönt war.
In den Siebzigern war er der größte Star der DDR; nachdem auch er gegen Wolf Biermanns Ausbürgerung protestiert hatte, ging er in die Bundesrepublik, wo er Fassbinder, Alexander Kluge, Bernhard Wicki begeisterte. Und dann ließ sich auch Hollywood faszinieren von diesem Deutschen, der die perfekte Besetzung für den Fremden war, den Mittel- oder Osteuropäer, der nicht nur einen Akzent, sondern auch Zentnerlasten von Vorgeschichte mit sich im Gepäck trägt. Bei Costa-Gavras war er ein ungarischer Kriegsverbrecher, beim großen Barry Levinson ein Jude aus dem Osten, bei Cronenberg ein russischer Patriarch.
1996 inszenierte er seinen (bislang?) einzigen Film – in „Gespräch mit der Bestie“ spielte er den hundertjährigen Hitler, der sich in einem Keller in Berlin versteckt. Man konnte da dem Virtuosen Mueller-Stahl beim Virtuossein zuschauen, womit er naturgemäß Hitler nicht zu fassen bekam. Was aber immerhin bewies, dass Mueller-Stahl, um sich selbst fremd zu bleiben, die Fremdheit eines Regisseurs schon brauchen kann.
Mueller-Stahl ist immer Geiger geblieben, er hat, wie sein Altersgenosse Mario Adorf, Erzählungen geschrieben, auch Gedichte. Und auch das hilft ihm, den Horizont weit und die Fremdheit aufrechtzuerhalten. Heute wird er neunzig Jahre alt. Er ist also langsam so weit, die Siebzigjährigen zu spielen.
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