Ein Freibad ist ein geschlossener Ort, an dem man gegen Eintrittsgeld für ein paar Stunden so tun kann, als wäre man auf Urlaub. Es gehört dabei zum Spiel, dass es an manchen Tagen ganz schön voll wird. In jedem Fall ist der Platz endlich. Wenn auch der letzte Winkel der Liegewiese belegt ist, und wenn keine Kabine mehr frei ist, dann müssen manche eben draußen bleiben.
Die Parallelen zu anderen Erfahrungen mit Konkurrenz (um einen Platz an der Sonne) und Beschränkungen (der individuellen Möglichkeiten, sich auszuleben) sind so offensichtlich, dass Doris Dörrie sich dazu entschlossen hat, ein Freibad zu einem Bild für das größere Ganze des Zusammenlebens in Deutschland zu erklären. Ein Frauenfreibad, genau genommen. Ein idyllischer Betrieb mit einer sanft ansteigenden Liegewiese, einem Becken, in dem man sportlich seine Bahnen ziehen kann, und einem für die Nichtschwimmer, in dem niemand untergehen kann.
Vollverhülltes Sonnenbaden
Die Betreiberin heißt Rocky und arbeitet vor allem an ihrer Muskulatur. Die Bademeisterin heißt Steffi, sie ist dunkelhäutig und spricht mit Schweizer Akzent. Die Stammgäste oder Stammgästinnen, die sich für das Inventar des Freibades halten, heißen Eva und Gabi, sie schützen sich gern durch einen Sonnenschirm, der mit einem Pilzmotiv auf die eine oder andere psychedelische Freiheit verweist, die man sich früher einmal genommen haben dürfte.
Gabi trägt übrigens Kopftuch, und zwar von Hermès. Das ist ein Unterschied, gar kein sonderlich feiner, auf den es bald sehr ankommt. Denn für die Frauen, von denen wir uns denken müssen, dass sie seit den Tagen vielleicht sogar vor der sexuellen Revolution schon in dieses Bad kommen, wird es nun manchmal eng auf dem Rasen. Vor allem an einem Tag, an dem unversehens eine ganze Schar von Frauen in Burka auftaucht. Sie kommen in schwarzen Vans und erweisen sich als Geflüchtete: aus der Schweiz, wo beim Baden bestimmte Freizügigkeitsregeln verordnet werden. Man darf sich dort nicht so konsequent verhüllen, wie es die offenkundig wohlhabenden Damen tun, die in Bayern eine schöne Facette von Liberalität erleben. Hier können sie nach ihrer Façon sonnenbaden, und das bedeutet nun einmal, dass kein Fleckerl Haut mit Ausnahme der reichlich beringten Hände exponiert wird.
In Deutschland ist sicher keine Filmemacherin oder kein Filmemacher so berufen wie Doris Dörrie, um sich an ein so heikles Thema zu wagen. Sie beobachtet nun schon seit bald 50 Jahren die Sitten und Gebräuche im Land, sie ist interkulturell kompetent („Happy Birthday, Türke“, „Kirschblüten & Dämonen“), sie kennt alle Mischverhältnisse zwischen Komödie und Drama, ohne dabei die lustigen Sammelbegriffe zu benötigen, die neuerdings manchmal dafür aufkommen. Der Film „Freibad“ ist bestimmt kein „Coma“ („Comedy-Drama“), sondern einfach ein ernstheiterer Versuch, sich ein wenig mit den Spannungen zu beschäftigen, die in multikulturellen Gesellschaften auftreten, ohne diese gleich zu einem sozialen Druckkessel hochzustilisieren. Dörrie hatte beim Schreiben des Drehbuchs vielleicht den einen oder anderen Leitartikel im Kopf, man sieht dem Projekt jedenfalls an, dass es trotz kleiner Liegewiese ins Repräsentative und Gesamtgesellschaftliche tendiert. Vielleicht sogar ein bisschen ins Utopische oder zumindest in eine positive Vision. Denn unübersehbar gibt es zwischen den Frauen zwar eine Menge auszuhandeln, sie sind aber dazu auch in der Lage.
Im „Freibad“ herrscht nämlich eine fast schon programmatische Vielfalt, ein Mainstream der Minderheiten, wenn man so will. Eva Kaiser, die ehemalige Schlagersängerin, die früher auch als die „Sängerin der Freiheit“ tituliert wurde (gespielt wird sie von Andrea Sawatzki), hält es geradezu für ihre Aufgabe, den baren Busen als Zeichen ehrwürdiger Errungenschaften zu präsentieren. Provoziert fühlt sie sich dazu durch eine junge Frau namens Yasemine (Nilam Farooq), die im Ganzkörpersuit schwimmt, und zwar ihrerseits aus den freiesten Stücken.
Sie legt Wert darauf, nicht im mindesten fremdbestimmt zu sein in ihrem Entschluss, ihren Körper nicht zu zeigen, oder wenn, dann eben in einem Kostüm, das nach der Mischung eines Outfits aus Science-Fiction und Hochleistungssport aussieht. Yasemine wiederum hat einen Fan oder eigentlich fast eine Stalkerin in einer jungen Frau, die wie ein Musterbeispiel heutiger Körperpositivität wirkt und die sich später auf die Seite des Grillmeisters schlägt, einer Transfrau, die sich mit praktischen Aspekten des Vielvölkerbadens beschäftigen muss: Dürfen Würste aus Schweinefleisch und solche aus Lamm gemeinsam auf den Rost? Und welche Fraktion ist stärker beleidigt, wenn sie auf die Kost der anderen umsteigen muss?
Dörrie weiß natürlich, dass es da nur eine Richtung geben kann: Lamm kann auch schmecken, wenn man sonst nur die Bratwürste von Uli Hoeneß gelten lässt, umgekehrt ist aber die Schweinswurst für viele Türkinnen und natürlich für die Gucci-Fraktion aus der saudi-arabisierten Schweiz ein No-Go. Umso umsichtiger von Dörrie, das Essen der queersten Figur in ihrem großen Ensemble zu überantworten.
„Post gender“ mit Nixenschwanz
So richtig brisant wird die Sache schließlich, als eine neue Aufsichtskraft benötigt wird. Steffi darf nicht mehr, und ohne eine kompetente Person auf dem Hochsitz gibt es keine Betriebsgenehmigung. Der Fachkräftemangel in Deutschland schlägt auch auf das „Freibad“ durch, aushelfen muss schließlich ein junger Mann, der sich in seinem Studium mit „Aquatischen Wesen in der Literatur“ beschäftigt und der sich für das strikt eingeschlechtliche Bad mit der Versicherung qualifiziert, er wäre „post gender“. Er bekräftigt das auch noch durch einen Nixenschwanz, den er als Accessoire geschickt zu gebrauchen weiß. Er entlockt sogar Eva das Geheimnis, warum sie nicht mehr singt.
Alles das, wovon Doris Dörrie in „Freibad“ erzählt, führt in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke zum Kulturkampf, treibt Menschen in Verzweiflung und Hass und bewirkt auf jeden Fall einen enthemmten Gebrauch von Sprache. Insofern hat dieser Spielfilm, der viele Konfliktenergien aufgreift und sie allgemein verträglich ableitet, einen humanisierenden Effekt. Er bietet vielleicht auch eine Option an, die nicht unbedingt „post gender“ ist, sondern einem etwas traditionelleren Feminismus entstammt: Die ganzen Streitereien um Kopftuch, Verhüllung, überhaupt um das Verhältnis von Frauen und Öffentlichkeit, ließen sich wahrscheinlich besser aushandeln, wenn man das ganz denjenigen überließe, die sich als Frauen verstehen.
Doris Dörrie hat sich in ihrer Karriere häufig genug mit lächerlichen oder tragikomischen Männern beschäftigt, um zunehmend die Räume der weiblichen Autonomie zu kultivieren. Nun schlägt sie das Freibad von Rocky im Grunde als einen modellhaften Ort vor, in dem ein herrschaftsfreier Diskurs gepflegt wird, der nur nach Möglichkeit auch den Gesetzen der Komik gehorchen soll. Dadurch hakt es dann zwar ab und zu in „Freibad“, wenn die lautere Absicht des ganzen Unterfangens den Pointen immer wieder ein wenig die Spitze nimmt.
Andererseits könnte man sagen, dass gerade auch das Genre der Komödie ein bisschen Entspannung vertragen kann. Es hat etwas sehr Sympathisches, wie sich in „Freibad“ der Witz auch gelegentlich in die Sonne legen kann, nicht alles muss dauernd zünden, es gibt auch den einen oder anderen satirischen Moment, der ins unfreiwillig Komische tendiert – von einem „boycott“ zu einem „girlcott“ ist die geschlechtergerechte Sprache vorher vielleicht noch nicht gekommen, und man mag durchaus vermuten, dass Dörrie hier auch eine kleine Stellungnahme ihrerseits zum Gendern versteckt hat. Keine kategorische und keine obligatorische, aber halt eine Anmerkung. Alles Letztgültige wäre einem Film wie „Freibad“ fremd, wichtig ist nur, dass die Sängerinnen der Freiheit nicht verstummen, sondern einander das Wort erteilen – damit die eine große Frage möglichst ungeklärt bleiben kann: Was ist Freiheit? Das will Doris Dörrie mit „Freibad“ nämlich nicht definieren, sondern ausprobieren.
Der Film läuft an diesem Donnerstag in den Kinos an.
Artikel von & Weiterlesen ( Neuer Film von Doris Dörrie: Frei sein im Freibad - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung )https://ift.tt/iVymgCE
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