Ein Gefühl von Gelb: Ganz kurz trug Ben O'Connor, der 25 Jahre alte Australier vom Team AG2R, das Gelbe Trikot. Zumindest virtuell. Am Cormet de Roselend formierte sich eine dreiköpfige Spitzengruppe mit den Kolumbianern Nairo Quintana und Sergio Higuita sowie O'Connor. Das Trio hatte zwischenzeitlich einen Vorsprung von mehr als acht Minuten. Wäre O'Connor mit diesem Vorsprung ins Ziel gekommen, hätte er Tadej Pogačar tatsächlich die Gesamtführung abgenommen.
Der Etappensieg: Im Regen der Alpen schüttelte O'Connor erst Quintana und dann Higuita ab. Allein erklomm der Australier den Anstieg nach Tignes, klopfte sich auf die Brust und bejubelte nach 144,9 Kilometern von Cluses nach Tignes den Etappensieg. Weil Pogačar dahinter aber noch mal attackierte, wurde es zwar nichts mit dem Gelben Trikot, doch O'Connor fuhr immerhin auf den zweiten Platz im Klassement vor. Ein echter Anwärter auf den Gesamtsieg ist der starke Kletterer nicht, aber er wird nun um einen Platz unter den besten Fünf kämpfen.
Die Angst ums Maillot Jaune: »Ich hatte ein bisschen Angst, das Trikot zu verlieren. Deswegen habe ich am Ende noch mal beschleunigt«, sagte Pogačar im Ziel. Der Etappensieger freute sich über seinen Erfolg. Der Schlüssel zum Sieg sei gewesen, nicht in Panik zu verfallen, sagte O'Connor: »Denn wenn du denkst, dass du gerade eine Etappe der Tour de France gewinnst, dann gehen dir eine Menge Dinge durch den Kopf.«
Abgefahren: O'Connor sagte, er habe bei den Abfahrten Probleme gehabt. Kein Wunder: Regennasse Straße, bergab, zwei dünne und profillose Reifen. Sergio Higuita ging hier mehr Risiko ein und knallte den Cormet de Roselend mit 80 km/h hinab. Bitte nicht zu Hause nachmachen.
Endlich in Tignes: Schon 2019 war der Schlussanstieg nach Tignes auf der Karte eingezeichnet. Doch das Ziel erreichten die Profis damals nicht. Denn schwere Regen- und Hagelschauer hatten damals sogar Erdrutsche ausgelöst, die Straßen waren unbefahrbar. Das Rennen wurde 20 Kilometer vor dem Ziel abgebrochen, Egan Bernal übernahm das Gelbe Trikot und gewann später die Tour. Auch dieses Mal regnete es in Strömen. Aber die Fahrer schafften es nach zwei Jahren Wartezeit trotzdem endlich nach Tignes.
Ran an den Berg: Wouter Poels hatte am Samstag drei Bergwertungen gewonnen und das Gepunktete Trikot übernommen. Seinen Vorsprung in der Wertung wollte der Belgier nun gern ausbauen. Als erster Fahrer erreichte er den Gipfel des Col des Saisies. Doch dann fielen Poels' Leistungswerte ähnlich steil ab wie die Hänge der Alpen. Der 33-Jährige hatte offenbar nicht genug gegessen. Während Poels zurückfiel, kletterte Quintana den Col du Pré, den ersten Berg der höchsten Kategorie der diesjährigen Tour, als schnellster Fahrer hinauf. Weil der Kolumbianer dann auch noch die Wertung am Cormet de Roselend gewann, übernimmt er nun das Trikot des besten Bergfahrers.
Und du bist raus: Fünf Fahrer verkündeten vor oder während der Etappe, dass sie die Tour verlassen, darunter die Tour-Promis Primož Roglič und Mathieu van der Poel. Roglič lag nach einem schweren Sturz in der Gesamtwertung etwa 40 Minuten hinter der Spitze – eine schwere Enttäuschung für den Zweiten des Vorjahres. Er sah keinen Sinn mehr darin, die Tour fortzusetzen und gab auf. Auch Mathieu van der Poel, der an sechs Tagen das Gelbe Trikot getragen hatte, trat gar nicht erst an. Der Niederländer will sich wie erwartet auf das Mountainbike-Rennen bei den Olympischen Spielen in Tokio (26. Juli) vorbereiten, dort peilt er die Goldmedaille an.
Wer attackiert Pogačar? Auf den letzten Kilometern nach Tignes hatte Pogačar keinen Helfer mehr bei sich. Team Ineos witterte die Chance, den Mann in Gelb zu attackieren. Doch das ging nach hinten los. Es war der 22 Jahre alte Titelverteidiger, der sich nach einem sehr kurzen Angriff der Konkurrenz von der Gruppe der Spitzenfahrer absetzte, mit einem fast provokanten Blick zurück zu Richard Carapaz, den er bereits am Samstag zurückgelassen hatte. Es bleibt dabei: Pogačar scheint unschlagbar.
Pause: Sprinter wie Mark Cavendish, der Mann im Grünen Trikot, und André Greipel kamen knapp innerhalb der Karenzzeit ins Ziel, anders als beispielsweise der Franzose Arnaud Démare, der die maximal erlaubte Zeit verpasste. Cavendish ballte mit schmerzverzerrtem Gesicht sogar die Faust, weil er so erleichtert war. Er und viele andere Profis werden froh sein, dass am Montag der erste Ruhetag ansteht. Am Dienstag folgt die 190,7 Kilometer lange 10. Etappe von Albertville nach Valence. Dann könnten die Sprinter wieder ganz vorne landen.
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