Jürgen Klopp gewinnt mit dem FC Liverpool die Champions League und die englische Meisterschaft. Doch der Rausch ist spätestens nach der jüngsten Demütigung durch Manchester City vorbei. Die vielen Verletzten reichen als Erklärung für den Absturz nicht aus.
Jürgen Klopp stand am Spielfeldrand des leeren Anfield-Stadions und bewegte sich nicht. Die Hände hatte er in den Jackentaschen vergraben, den Mund leicht geöffnet. Der deutsche Trainer sah aus, als würde er staunen über das, was sich vor seinen Augen zutrug. Da war auf der einen Seite Josep Guardiolas Manchester City, das so selbstsicher und gnadenlos spielte wie in den Meisterjahren 2018 und 2019. Auf der anderen Seite war da Klopps FC Liverpool, der nur noch ein Schatten jenes Teams war, das 2019 die Champions League und in der abgelaufenen Saison zum ersten Mal seit 30 Jahren den englischen Ligatitel gewonnen hatte.
Es ist immer heikel, ein Ergebnis mit zu viel Bedeutung aufzuladen, gerade in diesen unberechenbaren Corona-Zeiten, doch das 1:4 von Anfield zwischen den beiden prägenden Premier-League-Mannschaften der jüngeren Vergangenheit ist groß. Neben der Vorentscheidung im diesjährigen Rennen um die Meisterschaft zugunsten von Manchester City - fünf Punkte beträgt der Vorsprung des Tabellenführers auf Verfolger Manchester United, zehn Punkte auf Liverpool - wirkt es wie der Endpunkt einer großen Liverpooler Mannschaft.
Es ging fast immer nur aufwärts, seitdem Jürgen Klopp vor fünfeinhalb Jahren an der Anfield Road vorstellig geworden ist. 2018 erreichte die Mannschaft das Finale der Champions League und verlor unglücklich - Stichwort: Loris Karius. 2019 gewann Liverpool die Champions League und verpasste die Meisterschaft denkbar knapp, mit nur einer einzigen Saison-Niederlage. Im vergangenen Jahr klappte es endlich mit dem Titel in der Liga. Es war die Krönung für Klopp in England - und für eine Mannschaft, die zu den besten in der Geschichte des englischen Fußballs gehört.
Nicht nur individuelle Fehler
Ein halbes Jahr später ist von dieser Mannschaft nicht mehr viel zu erkennen. Liverpool spielte gegen Manchester City ohne den einst unerschütterlichen Glauben an die eigene Stärke. Nach vorne war das Team kraftlos und hatte außer dem Elfmeter-Tor von Mohamed Salah zum zwischenzeitlichen 1:1 nach einer Stunde keine zwingenden Chancen. In der Defensive fehlte der Zugriff auf ein furioses Kollektiv in Himmelblau, bei dem İlkay Gündoğan mit zwei Treffern den nächsten Nachweis seiner aktuell überragenden Form lieferte. Seinen verschossenen Elfmeter konnte er mit Humor nehmen.
Klopp verwies nach der Partie auf die beiden Fehler von Torwart Alisson, die zu den Gegentreffern zwei und drei geführt hatten: "Sie bedeuteten im Grunde: Game over", sagte der Trainer, und er hatte recht damit. Sein oft so sicherer Schlussmann, einst für mehr als 60 Millionen Euro als Karius-Nachfolger geholt, entschied mit seinen Pässen direkt zum Gegner die Partie zuungunsten des FC Liverpool. Allerdings wäre es zu einfach, die Demütigung des amtierenden durch den wohl neuen Meister alleine mit individuellen Missgeschicken zu erklären. Neben den vier Gegentoren und den zehn Punkten Rückstand auf Manchester City gibt es ja noch zwei weitere Zahlen, die bei der Nachbesprechung der Partie wichtig sind.
27 Punkte weniger als in der Vorsaison
Die erste ist 1963. Damals hatte Liverpool zum letzten Mal drei Heimspiele nacheinander verloren - bis jetzt, bis zu den beiden 0:1-Niederlagen gegen die Abstiegskandidaten Burnley und Brighton und dem Debakel gegen Manchester City. Die zweite wichtige Zahl lautet 27. So viele Punkte hat Liverpool aktuell weniger als zum gleichen Zeitpunkt der Vorsaison. Kein Meister im englischen Fußball hat jemals einen solchen Absturz hingelegt. Das 1:4 gegen Manchester City war kein Ausrutscher, kein Freak-Ergebnis, sondern die Manifestation eines Niedergangs beim englischen Meister in dieser Saison, der als Tabellenvierter sogar um die Zulassung zur Champions League fürchten muss. "Wenn sie so weiter machen, dauert es wieder 30 Jahre bis zum nächsten Titel", spottete der für seine ebenso gnadenlosen wie populistischen Kommentare berüchtigte ehemalige Manchester-United-Kapitän Roy Keane. Er wirft Liverpool vor, nicht nach Lösungen für die Krise zu suchen - sondern nach Ausreden.
Dabei ist es nachvollziehbar, dass Klopp schon länger mit dem Schicksal hadert angesichts der vielen Ausfälle in dieser Saison. Seine komplette Innenverteidigung ist verletzt, unter anderem Abwehrchef Virgil Van Dijk, die wichtigste Stützte des roten Gefüges. Die ständigen Klagen des Trainers über den zu vollen Spielplan sind in England allerdings nicht gut angekommen, und als Klopp vor der Partie gegen Manchester City die nachweislich falsche Behauptung aufstellte, der Gegner hätte um den Jahreswechsel "zwei Wochen Pause" gehabt, zweifelten selbst vereinstreue Medien am Zweck dieser Aussage. Die beiden Alisson-Fehler versuchte Klopp damit zu erklären, dass der Torwart "kalte Füße" gehabt hätte, was für Keane die nächste Ausrede war.
Umbruch scheint unausweichlich
Dass das Liverpool von Anfang 2021 nicht mehr das Liverpool der jüngeren Vergangenheit ist, liegt auch am natürlichen Kreislauf des Fußballs. Gerne wird in England die Theorie von Manchester Uniteds Trainer-Ikone Sir Alex Ferguson wiederholt, wonach große Mannschaften höchstens vier Jahre Erfolg haben könnten, danach müssten sie verändert, umgebaut, aufgefrischt werden. Liverpool hat drei Jahre mit dem im Kern gleichen Team gespielt wie im Rausch, mit dem Gewinn der Meisterschaft als Höhepunkt. Es war klar, dass die Mannschaft irgendwann ermüden würde, und wie es aussieht, ist dieses Irgendwann jetzt gekommen. Das 1:4 gegen Manchester City wirkt wie das Ende einer epischen Party für den FC Liverpool. "Zum ersten Mal in Jürgen Klopps Amtszeit gibt es ernsthafte Fragen über die Zukunft", schrieb der angesehene Journalist Jonathan Wilson beim Portal "Sports Illustrated".
Die Fragen betreffen nicht die Position des Trainers, sondern die Zusammenstellung des Teams. Ein Umbruch scheint unausweichlich. Schlüsselspieler wie Van Dijk, Fabinho, Kapitän Jordan Henderson und die Angreifer Sadio Mané, Roberto Firmino und Mohamed Salah gehen auf die 30 zu oder sind es schon. Womöglich war Klopp also auch etwas sentimental, als er bewegungslos am Spielfeldrand stand, die Hände tief in den Jackentaschen vergraben. Ihm wurde möglicherweise klar, dass die Zeit dieser großen Liverpooler Mannschaft vorbeigeht - und er gefordert ist, ein Team zu formen, das zu neuen Heldentaten imstande ist. Genau so, wie es übrigens Pep Guardiola bei Manchester City nach den Titeln 2018 und 2019 tun musste. Die Partie in Anfield bewies, dass ihm das gelungen ist.
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