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Ein glitzernder Sternenjunge, allein – und die Zuschauer daheim - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Der Super Bowl 2021 war der erste unter Pandemiebedingungen, der erste in einer anderen Zeitrechnung, der erste mit Joe Biden als Präsident, und seit langer Zeit der erste mit einem Performer in der Halbzeitshow, den man fast schon als introvertiert bezeichnen könnte: The Weeknd. Auch der Kanadier hat es sich selbstredend nicht nehmen lassen, ein glitzerndes, überschäumendes, phantastisches Riesenspektakel auf die vielleicht wichtigste Popbühne der Welt zu bringen – eine Gelegenheit, die sich kaum jemand nehmen lässt, solange das Wetter mitspielt. Und selbst mit Unwetter können sich auf dieser Bühne magische Momente entfalten – man denke nur an Prince, der 2007 mit dem Regen und seiner Gitarre ein beinahe überirdisches Bündnis schmiedete .

Die Super-Bowl-Halbzeitshow 2021 war die zweite, in der eine zuvor politisch aufgeladene Bühne einfach wieder als normale Bühne genutzt wurde. Nachdem Ausnahmetalent Colin Kaepernick im Jahr 2017 arbeitslos wurde, weil er aus Protest gegen die amerikanische Polizeigewalt gegen Schwarze bei der Nationalhymne auf die Knie gefallen war, wurde der Auftritt unter Popstars erst mal zur Kontroverse. Stars wie Rihanna und Cardi B boykottierten die Veranstaltung, stattdessen mussten 2019 im letzten Moment Maroon Five für eine Halbzeit-Show herhalten, die man bestenfalls als missglückt bezeichnen kann. Die Kontroverse war schon im vergangenen Jahr nicht mehr so präsent, da mit Jennifer Lopez und Shakira als Headlinerinnen der Veranstaltung einfach ein anderes Statement überstülpt wurde: Es waren die ersten beiden Latina-Künstlerinnen, die jemals diese Bühne dominierten (und wie sie das taten!). Und auch in diesem Jahr scheint sich kaum mehr einer daran zu erinnern, dass Colin Kaepernick noch immer keine Anstellung in der NFL gefunden hat, was nach einer so langen Pause auch aus sportlicher Perspektive nicht mehr verwundert. Die Sängerin Mariah Carey twitterte am Abend des Super-Bowls „Happy Colin Kaepernick Appreciation Day!”, aber das war’s auch schon, getreu dem Motto: Trump ist weg, der Rest wird sich regeln.

The Weeknd jedenfalls ist ein Sänger, dessen Stil und Stimme oft mit Michael Jackson verglichen wird, dessen Songs lässig sind und eingängig, und der mit „Blinding Lights“ einen der erfolgreichsten Hits 2020 gesungen hat. The Weeknd ist seit 2015 weitestgehend skandalfrei durch die Hollywood Hills und über die großen Bühnen gestolpert, er war mal mit Supermodel Bella Hadid und mit Schauspielerin Selena Gomez zusammen, mehr gibt's kaum zu berichten. Er ist nicht dafür bekannt, bekannt zu sein – er macht einfach sehr gute Popmusik. 

Nun also die Riesenbühne. Sieben Millionen amerikanische Dollar hat der Sänger dafür selbst bezahlt, produziert wurde das Schauspiel teilweise von Roc Nation, einer Firma des Rappers Jay-Z, was leider nichts daran geändert hat, dass The Weeknds Stimme zu Beginn merkwürdig leise und unpräsent war. Die technischen Probleme wurden im Laufe der Show ausgebessert, schade war’s trotzdem für die hyperinszenierten ersten Töne – und vor allem für einen der besten The-Weeknd-Songs: „Starboy”. Der Song des gleichnamigen Albums, das laut The Weeknd eine Hommage an Bowies Starman ist, handelt von Ruhm und Ehre, Fame und Money und der damit einhergehenden fragilen Persönlichkeit des Künstlers. Ansonsten lieferte The Weeknd eine mehr oder weniger fulminante Performance, inklusive Gospelchor, dessen Sänger mit leuchtend roten Augen und weißen Gewändern ausgestattet eine gespenstische Heiligkeit ins Stadion trugen. In einem roten Glitzer-Blazer von Givenchy und mit schwarzen Lederhandschuhen sang The Weeknd fast ausschließlich mit intensivem Blickkontakt in die Kamera – ein Auftritt, der für die vielen Millionen da draußen gedacht war, die angesichts widriger Umstände nicht ins Stadion kommen konnten. 

Für eine für den Super Bowl fast schon unanständig lange Zeit stand The Weeknd einfach da oben rum, neben einem Bildschirm, mal mit seinem Gospelchor, mal mit einem Orchester, und sang seine Lieder. Und das hat er sehr gut gemacht. Ein kurzer Exkurs in ein Spiegelkabinett offenbarte dann aber die Tiefen dieses Künstlers, dessen Songs zwar lockerleicht daherkommen, aber oft von Isolation und Einsamkeit handeln: Zu „I can’t feel my face” irrte der Sänger mit einer wackligen Handkamera durch ein goldglitzerndes, verspiegeltes Labyrinth, umgeben von Alter-Ego-Tänzern in roten Blazern, deren Gesichter einbandagiert waren. Beinahe verirrte man sich selbst in den Spiegeln – da war The Weeknd schon wieder draußen, sang „I feel it coming” und trällerte so flockig daher, als würde er doch noch vorm Spiegel singen, allein, daheim, mit der Haarbürste.

Am Ende wurde dann doch noch mal das zuvor verwaiste Spielfeld genutzt. Das bot sich in diesem Jahr schließlich an: Mit Fans zu interagieren ist gerade nicht angesagt, die Bühne war die größte und einsamste Bühne der Welt, mal abgesehen von den Millionen von Zuschauern daheim am Fernseher, und dazu die Zeile „No one’s around to judge me”. Mit einer Armada an gesichtsbandagierten Tänzern hüpfte The Weeknd hinab aufs Gras, zu einem frühen Song seines Debütmixtapes „House of Balloons“, dessen Titeltrack wiederum den Achtziger-Jahre-Song „Happy House” von Siouxsie and the Banshees sampelt – ein guter Einstieg in die Achtziger-Hymne „Blinding Lights”, den Hit von 2020, der dann die vergleichsweise wenigen Zuschauer im Stadion noch mal zum Jubeln brachte. 

Fast schon ein bisschen unbeholfen wirkte The Weeknd zwischen seinen Profi-Tänzern, wie er sich immer wieder einen anderen Weg bahnte, nicht mehr mittanzen wollte. Und das machte die merkwürdige Schönheit seiner Show aus: Er ist nicht wie Shakira und J-Lo, die eine hochglanzpolierte Las-Vegas-Mega-Tanzshow hingelegt hatten, er ist auch nicht wie Lady Gaga, der Oberprofi, und Beyoncé ist er schon gar nicht. Sie ist zweimal beim Super Bowl aufgetreten, einmal stürmte sie als schwarze Soldatin die Coldplay-Show, einmal machte sie alles allein, vereinte nebenbei ihre Girlband Destiny’s Child und war umweht von Stolz und einer Aura, die sagte: Ich bin geboren für die Bühne! Ihr kriegt mich hier nicht weg!

All das ist The Weeknd nicht, nö, und das muss er auch nicht sein. Man kann ihm beinahe dankbar sein, dass er trotzdem alles darauf ausgelegt hat, 15 Minuten lang einfach nur zu unterhalten, mit der für diese Plattform gerade angebrachten Überkandideltheit. Und mit genau dem richtigen Grad an Pathos, mit dem, wonach ausgedörrte Pandemieherzen in Zeiten von Abstandshaltern im Stadion lechzen: Einer riesengroßen, übertrieben teuren, verschwenderischen Mega-Show. Und mit Anspannung! Und das Tanzen? Ach, tanzen können die anderen, und seine Eigenart hat The Weeknd nicht für einen hübschen Auftritt verkauft. Er ist ein glitzernder Sternenjunge, er allein! Ein anderer Künstler eben, er ist fragil, er ist nicht perfekt. So, wie das vergangene Jahr sowieso alles andere als perfekt war – aber es hatte sein Momente. Und die hatte die Show von The Weeknd auch.

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